„Eine zukunftsgerichtete Infrastruktur denken“, so lautet der Vortrag von Dr. Frank Mastiaux Vorstandsvorsitzender der EnBW Energie Baden-Württemberg AG am 19. Mai 2022, 18:00 in der Kaufmannskirche in Erfurt (siehe AKTUELLES vom 18. März 2022).
Die Infrastruktur in Deutschland wird sich in den nächsten Jahren grundlegend verändern müssen. Das gilt sowohl für die Gestaltung und Auslegung der Anlagen, wie auch ihr Zusammenspiel.
Das gilt zudem für die Geschwindigkeit und das Vorgehen bei Projektplanungen und
Projektumsetzungen, wie auch für die Abstimmung der handelnden Akteure.
Das ist Anlass für AKTUELLES, im Vorfeld der Rede von Frank Mastiaux eine Diskussion anzuregen.
Was macht eine zukunftsfähige Infrastruktur aus? Welche gesellschaftlichen Notwendigkeiten sind zu beachten? Wie steht es um Sicherheit, ständige Verfügbarkeit oder Finanzierbarkeit? Was erwartet die Gesellschaft, was der Gesellschafter von einem Infrastrukturunternehmen in der Zukunft? Wie kann neues Denken in Sachen Infrastruktur entwickelt werden? – Das sind nur einige der Fragen, die dabei Erörterung finden sollen.
AKTUELLES bietet Leistungsträgern verschiedener Bereiche, Gelegenheit, ihre Sicht zu beschreiben.
Nachfolgend die Einschätzung von Markus Wild, Taipei:

Markus Wild, Taipei. Foto: Markus Wild

Der Wunsch zum nachhaltigen Wirtschaften muss mittel und langfristig in konkreten Veränderungen sichtbar sein, damit wir alle glaubwürdig bleiben. Das gilt insbesondere für Energieversorgung, aber auch Mobilität. Selbstverständlich können wir den Individualverkehr nicht abschaffen, aber wir können die Alternativen attraktiver machen.

Obwohl ich die vergangenen vier Jahre auf Taiwan in Sachen Erneuerbare Energien unterwegs war, möchte ich heute gern den Blick auf eine andere Infrastruktur richten: den öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Nicht umsonst besitzt dieser in Ostasien einen hohen Stellenwert, denn wer mit dem Auto schon einmal im typischen Rush-hour-Verkehr einer asiatischen Großstadt unterwegs war, kann abschätzen, dass diese Art der (Nicht-)Fortbewegung auch für einen langmütigen Ostasiaten auf Dauer keine Option ist. Die jeweiligen Stadtverwaltungen versuchen zwar, partielle Verbesserungen in Bezug auf Verkehrsflüsse und -ströme zu organisieren, aber es bleibt angesichts der Bevölkerungsdichte und des steigenden Wohlstands ein Windmühlenkampf (in meinem aktuellen

Lebensmittelpunkt Taipei benötige ich mit dem Auto für meinen 14km-Arbeitsweg morgens 60-80 Minuten).
Nun wird das vielen in Berlin, München oder Hamburg nicht viel anders gehen, deswegen sollten wir neben den Bemühungen, den Individualverkehr nachhaltiger zu gestalten, die einzige vorhandene Alternative Nah- und Fernverkehr ebenso verbessern. Und da kann Deutschland noch viel besser werden und von Asien lernen.
In meinem aktuellen Lebensmittelpunkt Taipei gibt es ein wunderbar ausgebautes U-Bahnnetz, um das herum ein dichtes Busnetz gestrickt wurde, welches als permanenter Zubringer funktioniert. Beides konkurriert mit dem Auto durch eine unglaubliche Zweckmäßigkeit, gepaart mit sehr niedrigen Preisen (meine 14km kosten dort 1,30 Euro).
Gleichzeitig ist alles personell vernünftig ausgestattet, etwas, was wir im Westen mit unserer Kommerzialisierung aller Bereiche der Daseinsvorsorge verlernt haben. Diese Ausstattung sorgt für einen sehr hohen Standard an Sauberkeit und Sicherheit. Mit anderen Worten: egal zu welcher Zeit, es ist immer jemand da, der ansprechbar ist, der nach dem Rechten sieht oder mal sauber macht. Entsprechend irritiert sind Taiwaner beim Benutzen bspw. der Berliner U-Bahn – meist scheitern sie schon beim Bezahlen…
Lange Rede kurzer Sinn: bevor wir uns in immer größeren Träumen verlieren, sollten wir endlich die tiefhängenden Früchte ernten. Also vom Nutzer kommend den öffentlichen Nah-, aber auch Fernverkehr so gestalten, dass er noch attraktiver wird, um dann Schritt für Schritt den Individualverkehr einzuschränken. Angebot schafft Nachfrage, und bequemes und preiswertes Angebot schafft die Nachfrage, die wir für die Verkehrswende brauchen.

Markus Wild: Curriculum Vitae

Der Volkswirt Markus Wild (51) startete seinen Berufsweg als persönlicher Referent von Dr. Lothar Späth, dem damaligen Jenoptik-Chef in Jena. Nach über fünf Jahren bei Jenoptik und Späths Weggang aus Jena wechselte Wild 2005 in die Energiebranche und wurde Pressesprecher der VNG AG in Leipzig.
Nach einem MBA-Studium in Taiwan von 2008 bis 2010 kehrte Wild in die deutsche Energiebranche zurück und baute die Berliner Interessenvertretung der deutschen Fernleitungsnetzbetreiber auf, bevor er 2012 zu einem der Fernleitungsnetzbetreiber, ONTRAS Gastransport Leipzig, wechselte. Dort war er bis 2018 Bereichsleiter für Unternehmensentwicklung und Kommunikation, um anschließend für die EnBW AG nach Taipei zu wechseln, um die dortige Asia-Pacific-Repräsentanz aufzubauen und die Geschäftsführung der Taiwan-Aktivitäten zu übernehmen.