Die Erfurter Kaufmannskirche war in ihrer Geschichte nicht nur ein geistliches, sondern stets auch ein gesellschaftliches Zentrum, ein Ort des Diskurses und des Meinungsaustausches.
So starteten hier, in der traditionsreichen Bach-Kirche und damit Thüringens größter Stadt, mit einem Gottesdienst die Demonstrationen des Jahres 1989.
Im Mittelalter nutzen Kaufleute diese Kirche ebenfalls nicht nur als Ort für Gottesdienste und für das stille Gebet, sondern neben dem spirituellen zugleich auch als gesellschaftlichen Platz, an dem man sich versammelte, Verträge abschloss und deponierte, Waren lagerte und Steuern zahlte.

An jene markanten Zeiten des Versammelns und miteinander Diskutierens, des öffentlichen Fragens und Erörterns, kurzum an jene Momente des gesellschaftlichen Diskurses damaliger und jüngster Zeit, der Vergangenes bedenkt und Impulse für Derzeitiges und Künftiges entwickelt, knüpft die Gesprächsreihe „Zukunft gestalten – Erfurter Reden zu Themen der Zeit“ an.
Hierbei sprechen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens mit außergewöhnlichem Erfahrungshintergrund über Zukunftsthemen und stellen sich der Diskussion.

Ankunft in Erfurt – Im Hintergrund befindet sich das ehemalige Hotel „Erfurter Hof“ am jetzigen Willy-Brandt-Platz.

Auf dem Dach ist die Installation des legendären Rufs der Bürger: „Willy Brand ans Fenster“ zu sehen.

In diesem Hotel fand 1970 das erste deutsch-deutsche Gipfeltreffen zwischen Willy Brandt und Willi Stoph statt.

Der „Erfurter Hof“ bestand von vor 1872 und wurde 1995 geschlossen.
Foto: RO

Als „Generationengerechtigkeit“ ist in diesem Zusammenhang die Gerechtigkeit der Verteilung von materiellen Ressourcen, Lebenschancen und -qualität unter den Generationen zu verstehen, also eines gerechten Ausgleiches der zu tragenden Lasten zwischen den Generationen.
Der Begriff umschreibt das Postulat, dass jede Generation so verantwortungsvoll leben soll, dass sie nachfolgenden Generationen keine unzumutbaren Lasten, beispielsweise in Form von Schulden oder Umweltschäden, aufbürdet.
Generationengerechtigkeit steht für eine Form der Gerechtigkeit im wissenschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Bereich, in der die Wechselwirkungen des Handelns zwischen verschiedenen gesell-schaftlichen Generationen auf ihre Gerechtigkeit in einer Vielzahl von Diskussionen hinterfragt wird.
Begriffe wie „Nachhaltigkeit“, „nachhaltiges Handeln“, „Tragfähigkeits-lücke“, „Solidarprinzip“, „Generationenvertrag“, aber auch „Eigenverantwortung“ machen dabei das Ringen um Indikatoren, Beurteilungskriterien und Messinstrumente deutlich, mit denen nicht nur ein Monitoring eines gegenwärtigen Zustandes aufgezeigt, sondern auch notwendige Anforderungen und Konsequenzen gewissermaßen als „Leitplanken“ für Künftiges deutlich gemacht werden.

Blick in das Innere der Kirche. Fotos: Dominik Kalies

Die jeweilige Rede behandelt in einem Vortrag ein wichtiges aktuelles Thema.
Im Anschluss fügt sich ein durch den Autor dieser Zeilen moderiertes Gespräch mit interaktiver Einbeziehung des Auditoriums an, darunter Vertreter der jungen Generation und der Bürgerschaft. Abschluss bildet ein Empfang.

Erfolgreicher Start der Erfurter Reden erfolgte nunmehr am 08. September mit Bundesfinanzminister a.D. Peer Steinbrück zu Fragen der Generationengerechtigkeit.
In seinen Willkommensworten begrüßte denn auch der Präsident der Kaufmänner Gesellschaft Karl-Heinz Kindervater den Vortragenden als herausragende und prägende Persönlichkeit unserer Zeit.

Der Vortrag von Peer Steinbrück spiegelte eine Tour d´Horizon durch einzelne Politikfelder wider, die in ihrer Gänze maßgeblich auf den Grad der Generationengerechtigkeit Einfluss nehmen.
Wie definiert man Generationengerechtigkeit? Gibt es ein Maß? Wie sollte die Klimapolitik wirken, wie gerechte Corona-Politik gestalten, Wie entwickelt man ein gerechtes Rentensystem, wie grundsätzlich die Zukunftsfähigkeit des Sozialstaates? Welchen Stellenwert muss Bildung bekommen? Wie sind Gegenwarts-Interessen gegenüber Interessen künftiger Generationen abzuwägen? Welche Ansätze können beispielsweise Familien-, Bildungs-, Einwanderungs- und Migrationspolitik sowie Gesundheits- und Steuerpolitik als Steuerungsmöglichkeiten liefern?

Die sich nach dem Vortrag anschließende Diskussion bot viele Beispiele aus dem täglichen Leben und vermittelte zahlreiche Impulse, so dass, so die Gäste des Abends in einhelliger Meinung, der Auftakt der Erfurter Reden eine sehr gelungene Veranstaltung war. RO

Die Erfurter Kaufmannskirche. Foto: PIXABAY.

Willkommensgruß des Präsidenten der Kaufmänner Gesellschaft Karl-Heinz Kindervater. Foto: Dominik Kalies.

Die Moderation übernahm Rainer Otto, Schatzmeister der Kaufmänner Gesellschaft. Foto: Dominik Kalies.

Bei der Renovierung entdeckte Grabsteine fanden an Seitenbereichen ihren neuen Platz. Foto: Dominik Kalies.