Ende August 2021 erscheint die Studie „Biokonversion in Mitteldeutschland – zentraler Baustein für ein postfossile, biobasierte Wirtschaft“. Die Analyse ist ein Projekt des BioEnergie Verbund e. V. in Kooperation mit dem Mitteldeutschen Energiegespräch und der Vi-Strategie GmbH. Gefördert wird die Studie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und den Innovationsforen Mittelstand. Hochkarätige Experten aus den Bereichen Wasserstoff und Kreislaufwirtschaft waren Teil des Autorenteams. Den Großteil der Forschung hat die Universität Leipzig, vertreten durch Maren Springsklee und Katharina Kolb, übernommen. Beide sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut für Öffentliche Finanzen und Public Management.
Aktuelles hat die Zusammenarbeit der letzten Monate genutzt um mit Frau Springsklee und Frau Kolb über ihre Forschungsschwerpunkte, ihr Institut und die Studie zum Innovationsforum BioH2BK Mitteldeutschland zu sprechen.

Maren Springsklee und Katharina Kolb, Foto: Lehrstuhl
Finanzwissenschaft, Universität Leipzig
Sehr geehrte Frau Springsklee, Sehr geehrte Frau Kolb, Sie arbeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut für Öffentliche Finanzen und Public Management an der Universität Leipzig.
Erläutern Sie bitte Ihre Forschungsinteressen und Forschungsschwerpunkte.
Springsklee: Zu meinen Forschungsschwerpunkte zählen regionalwirtschaftliche Effekte und kommunale Entscheidungsprozesse in Rahmen der Energiewende sowie Bund-Länder-Finanzbeziehungen.
Kolb: Meine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich regionalwirtschaftliche Effekte, räumliche Ungleichheit, öffentliche Leistungen und gleichwertige Lebensverhältnisse.
Aktuell arbeiten Sie am Projekt Smart Utilities and Sustainable Infrastructure Change (SUSIC). Erläutern Sie bitte unter Einbeziehung folgender Fragen das Projekt:
Wer ist Auftraggeber?
Das Projekt wurde vom Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst (SMWK) in Auftrag gegeben.
Wer ist Kooperationspartner?
Neben mehreren Professuren an der Universität Leipzig sind die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) sowie das Institut für Angewandte Informatik e. V. am Projekt beteiligt.
In welchem Zeitraum findet das Projekt statt?
Das Projekt ist im Juni 2019 gestartet und läuft noch bis Ende diesen Jahres (2021).
Welchen Inhalt hat das Projekt?
SUSIC widmet sich der Modellierung und integrierten Bewertung kommunaler und regionaler Infrastruktursysteme zur Bereitstellung von Energie und Wasser sowie zur Entsorgung von Abwasser, die von heterogenen Akteur:innen betrieben und im Zeitverlauf durch Investitions- und Rückbauentscheidungen verändert werden.
Im Zuge des SUSIC-Projekts quantifizieren wir die kommunalen Wertschöpfungseffekte durch den Betrieb von Photovoltaikanlagen. Dabei steht die Entwicklung einer Methodik im Vordergrund, welche auf verschiedene Beispielkommunen wie die Städte Leipzig, Chemnitz und Dresden sowie zwei Kommunen des ländlichen Raums im Landkreis Leipzig angewendet wird.
In welchem Stadium befindet sich das Projekt derzeit?
Für unser Teilprojekt haben wir die Berechnungen der Wertschöpfungseffekte, welche im Zuge des Betriebs von Photovoltaikanlagen entstehen, abgeschlossen und befinden uns aktuell in der Ergebnisauswertung und -analyse. Dabei ist der Vergleich zwischen städtischem und ländlichem Raum für uns besonders mehrwertbringend. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Höhe der kommunalen Wertschöpfung erheblich von der lokalen Ansässigkeit der Stakeholder abhängt.
In den letzten Monaten haben Sie federführend die Studie „Biokonversion in Mitteldeutschland – zentraler Baustein für ein postfossile, biobasierte Wirtschaft“ gemeinsam mit weiteren Autoren und Autorinnen verfasst. Diese Thematik wurde in Form einer Studie bisher noch nicht aufgegriffen und ist somit ein Novum. Welche Erkenntnisse erhielten Sie während Ihrer Arbeit?
Wir haben uns im Rahmen der Studie insbesondere auf die energetische Biokonversion von Biomasse zu Biowasserstoff sowie die stoffliche Verwertung biogener Rest- und Abfallstoffe konzentriert. Grüner, also CO2-frei hergestellter Wasserstoff gilt als eines der Schlüsselelemente der Energiewende und wird in den kommenden Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnen. Neben der Gewinnung des grünen Wasserstoffs aus erneuerbarem Strom mittels Elektrolyse – dieses Verfahren rückt die Nationale Wasserstoffstrategie in den Fokus – bietet sich auch die Herstellung von Wasserstoff aus Biomasse an. Dabei können im Sinne der Kreislaufwirtschaft biogene Rest- und Abfallstoffe eingesetzt und Potenziale im Rahmen der dezentralen Erzeugung und Nutzung gehoben werden. Diese Schnittstelle ist bisher noch nicht hinreichend beleuchtet worden. Im Rahmen der Erarbeitung der Studie konnten wir diese Potenziale verdeutlichen und gleichzeitig die relevanten Akteur:innen in Mitteldeutschland identifizieren. Ein nächster Schritt besteht in der Quantifizierung dieser Potenziale mit Fokus auf Gestehungskosten von Biowasserstoff.

Schematische Darstellung einer Kreislaufwirtschaft mit Fokus auf biogene Rest- und Abfallstoffe, Quelle: Lehrstuhl Finanzwissenschaft,
Universität Leipzig
Die Studie hat einen beschreibenden Charakter und beleuchtet den Status Quo der Biokonversion in Mitteldeutschland. Bitte fassen Sie diesen kurz zusammen.
Biokonversion eröffnet verschiedene Perspektiven für neue Geschäftsmodelle, die abgesehen von ihrem Beitrag zur volkswirtschaftlichen Transformation auf gesamtgesellschaftlicher Ebene auch dezentral, also im lokalen Rahmen, Wertschöpfung generieren können. In Mitteldeutschland verknüpfen vereinzelte Projekte die stoffliche mit der energetischen Biokonversion im Sinne der Kreislaufwirtschaft bereits – derzeit konzentrieren sich die meisten mitteldeutschen Akteur:innen allerdings auf einen der beiden Bereiche.
Was die energetische Biokonversion betrifft, gibt es in Mitteldeutschland in den Bereichen Biowasserstoff sowie grüner Wasserstoff im Allgemeinen bereits vielversprechende Ansätze und Projekte. Diese befinden sich in der Regel allerdings noch in der Erprobungsphase, also in Form von Demonstrationsanlagen oder Pilotprojekten.
Der Vorteil der Herstellung von Biowasserstoff besteht in der Möglichkeit der Nutzung biogener Rest- und Abfallstoffe. Diese ist jedoch durch die verfügbare Menge biogener Rest- und Abfallstoffe begrenzt. Die Herstellung von Biowasserstoff kann daher vor allem als Ergänzung zur Gewinnung grünen Wasserstoffs mittels Elektrolyse eingeordnet werden. Letzteres Verfahren steht auch in den mitteldeutschen Wasserstoffstrategien im Fokus.
Die Analyse des Status Quo zeigt auch, dass es noch einige Herausforderungen zu bewältigen gibt. Hier ist im Bereich grüner Wasserstoff insbesondere der Ausbau einer geeigneten Infrastruktur zum Transport und zur Speicherung zu nennen. Der mitteldeutsche Raum ist hier bereits auf bestem Wege, da beispielsweise im mitteldeutschen Chemiedreieck schon einiges an notwendiger Infrastruktur vorhanden ist.
Teil der Studie ist eine Akteurslandkarte. Wie sind die Akteure im Bereich (Bio-)Wasserstoff und Biokonversion in Mitteldeutschland aufgestellt?
Das Akteur:innenfeld in den Bereichen grüner Wasserstoff, Bioenergie und Biokonversion in Mitteldeutschland ist weitläufig und heterogen geprägt. Insgesamt konnten wir ca. 150 Akteur:innen identifizieren, darunter fallen ca. 20 Akteur:innen aus dem Bereich Netzwerke/Cluster, ca. 35 Forschungsinstitutionen und in etwa 95 Unternehmen.
Die mitteldeutsche Wirtschaftsstruktur ist einerseits geprägt von großen Unternehmen der Energiewirtschaft und Chemieindustrie, welche im Bereich grüner Wasserstoffanwendungen erhebliche Dekarbonisierungspotenziale aufweisen und im industriellen Maßstab Wasserstoff nachfragen. Andererseits sehen wir viele kleine und mittelständische Unternehmen mit innovativen Ansätzen.
In zahlreichen Kooperationsprojekten arbeiten Forschungseinrichtungen und wirtschaftliche Akteur:innen Hand in Hand. Dies ermöglicht die Erprobung von Technologien in Pilotprojekten und Demonstrationsanlagen. In der Region Mitteldeutschland befinden sich des Weiteren verschiedene Modellregionen im Aufbau. Eine Vielzahl an Netzwerken und Initiativen vernetzt ihre Mitglieder z. T. auch über die Landesgrenzen hinweg.
Aktuell ist jedoch noch eine Trennlinie zwischen Akteur:innen im Bereich grüner Wasserstoff und dem Feld der stofflichen und energetischen Biokonversion erkennbar. Hier bestehen somit erhebliche Vernetzungspotenziale. Die bevorstehenden Mitteldeutschen Energiegespräche sowie die Bestrebungen des Innovationsforums BioWasserstoff + BioKonversion Mitteldeutschland setzen hier gute Impulse.
Gibt es in diesem Zusammenhang innovative Unternehmen oder interessante Forschungsansätze die Sie gern hervorheben würden?
Der HYPOS e. V. strebt mit seinem weitläufigen Netzwerk eine sektorübergreifende grüne Wasserstoffwirtschaft an und beeindruckt mit einer erheblichen Breite und Tiefe an Projektvorhaben.
In Bezug auf die Biowasserstoffgewinnung ist einerseits das Projekt HyPerFerment II hervorzuheben, welches die Entwicklung eines Verfahrens zur Herstellung von Wasserstoff durch mikrobiologische Fermentation anstrebt und in einer Pilotanlage testet. Ein weiteres spannendes Projekt in diesem Kontext ist die Biowasserstoff-Fabrik, in welchem der BioEnergie Verbund e. V. zusammen mit dem Robert Boyle Institut e. V. und der Bio-H2 Umwelt GmbH die Herstellung von grünem Wasserstoff aus biogenen Rest- und Abfallstoffen wie Gras- und Grünschnitt erprobt.
Als holistisches Anwendungskonzept von der Erzeugung über Transport und Infrastruktur bis hin zum Einsatz in den Bereichen Mobilität, Wärmeversorgung und Industrie ist beispielsweise das Projekt Energieregion Staßfurt zu erwähnen.
Wem würden Sie die Studie unbedingt empfehlen und warum?
Die Studie ist sowohl für Akteur:innen aus dem Wasserstoffbereich als auch aus der Kreislaufwirtschaft mehrwertbringend, da sie die Schnittstelle dieser beiden Felder hervorhebt.
Neben kleinen und mittelständischen Unternehmen, großen Playern und kommunalen Ver- und Entsorgungsunternehmen kann die Studie auch Akteur:innen aus Politik und Verbänden einen ersten Einblick geben und das Bewusstsein für die Potenziale der stofflichen und energetischen Biokonversion im Rahmen der Kreislaufwirtschaft schärfen.
Werfen Sie bitte abschließend einen Blick in die Zukunft: Was müsste aus Ihrer Sicht in den nächsten Jahren passieren, damit die angestrebten Klimaziele erreicht werden und die Wirtschaft nachhaltiger wird?
Damit die angestrebten Klimaziele erreicht werden, müssen wir in den kommenden Jahren neben dem Stromsektor auch die weiteren Sektoren Wärme und Verkehr viel stärker dekarbonisieren. Denn obwohl in der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in den vergangenen Jahren bereits Fortschritte gemacht wurden, ist insbesondere in Bezug auf Mobilität und Industrieanwendungen noch viel zu tun. Ein Baustein, um die Energiewende in weiteren Sektoren voranzutreiben, ist dabei sicherlich eine gewisse Technologieoffenheit und damit einhergehend die Förderung innovativer (Forschungs-)Projekte, wie beispielsweise die Forschung im Bereich grüner Wasserstoff verdeutlicht. Entscheidend wird jedoch sein, ein gesamtgesellschaftliches Umdenken zu erreichen und Klimaschutzpolitik in sämtlichen Politikfeldern mitzudenken.

Schematische Darstellung einer Kreislaufwirtschaft,
Quelle: Europäisches Parlament