Ende August 2021 erscheint die Studie „Biokonversion in Mitteldeutschland – zentraler Baustein für ein postfossile, biobasierte Wirtschaft“. Die Analyse ist ein Projekt des BioEnergie Verbund e. V. in Kooperation mit dem Mitteldeutschen Energiegespräch und der Vi-Strategie GmbH. Gefördert wird die Studie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und den Innovationsforen Mittelstand. Neben dem Kompetenzzentrum für Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e. V. an der Universität Leipzig ergänzten weitere Experten aus den Bereichen Wasserstoff und Kreislaufwirtschaft das Autorenteam. Einer dieser Experten ist André Rückert. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft der Fakultät Umweltwissenschaften der Technischen Universität Dresden. Gemeinsam mit Dr. Christian Abendroth ist André Rückert Ansprechpartner des Projektes Greening Belarus – das Interview in unserem Blog mit Dr. Christian Abendroth vom 8. April 2021 finden Sie bitte HIER.
Aktuelles hat die gemeinsame Zusammenarbeit der letzten Monate genutzt um mit André Rückert über das Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft, den Status Quo und die Zukunft der Kreislaufwirtschaft in Deutschland zu sprechen.

André Rückert, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IAK der TU Dresden.
Sehr geehrter Herr Rückert, was bedeutet Kreislaufwirtschaft?
Kreislaufwirtschaft bedeutet für mich ein Abfallwirtschaftssystem in dem wir unsere Rohstoffe mit hohen stofflichen Verwertungsquoten im Kreislauf führen und lediglich einen sehr geringen Teil der Rohstoffe als Abfälle in die Beseitigung geben. Maßgeblich mit dem Zweck Schadstoffe aus dem Kreislauf aus zu schleusen.
Wie wichtig ist eine funktionierende Kreislaufwirtschaft in Bezug auf den Klimaschutz?
Auch wenn die CO2-Equ.-Emissionen aus der deutschen Abfallwirtschaft lediglich rund drei Prozent der deutschen CO2-Equ.-Emissionen ausmachen, kann eine etablierte Kreislaufwirtschaft in Deutschland den Abbau von Primärrohstoffen mindern, wodurch dementsprechend auch der Verbrauch von fossilen Energieträgern reduziert wird, die bei der Gewinnung der Primärrohstoffe eingesetzt werden. Der Impact der Kreislaufwirtschaft geht somit über die Grenzen der Abfallbehandlung hinaus.
Wie beurteilen Sie den Status Quo der Kreislaufwirtschaft in Deutschland?
Die Kreislaufwirtschaft steckt noch in den Kinderschuhen. Auch wenn wir in einzelnen Bereichen der Abfallwirtschaft schon relativ hohe Wiedereinsatzquoten haben (Altpapier rund 70 %, Altglas je nach Glassorte rund 60‑90 %), liegt die Recyclingquote von Kunststoff bei lediglich 46 % wovon ein Großteil in der Recyclinganlage noch aussortiert wird und dann doch in der thermischen Verwertung landet. Wichtig wäre es, dass wir von der Recyclingquote wegkommen und eine gesetzliche Substitutionsquote einführen, die den Einsatz von hochwertigen Recyclaten in neuen Produkten fordert. Gleichzeitig müssen Kommunen ihre Anstrengungen in den Bereichen Abfallvermeidung und Vorbereitung zur Wiederverwendung erhöhen.
Prof. Dr. Klaus Helling vom Umwelt-Campus Birkenfeld der Hochschule Trier sagte am 10. Dezember 2020 während der Online-Seminarreihe bRENNglas Corona-Krise: „In Punkto Kreislaufwirtschaft sind wir eigentlich ein Entwicklungsland, obwohl wir im internationalen Vergleich gar nicht so schlecht dastehen.“* Wie bewerten Sie diese Aussage?
Ich denke Herr Prof. Dr. Helling hat Recht mit seiner Einschätzung. Deutschland hat eines der am weitesten entwickelten Abfallwirtschaftssysteme der Welt mit unzähligen Fraktionen, die getrennt gesammelt, katalogisiert und dann dem System zugeführt werden. Gleichzeitig ist durch das Kreislaufwirtschaftsgesetz der rechtliche Aspekt der Abfallwirtschaft schon gut reguliert. Aber dennoch schaffen wir es nicht unseren eigenen Kunststoffabfall hochwertig stofflich zu verwerten, sondern exportieren ihn ins Ausland, wo er unter widrigen Umständen „behandelt“ wird und dort zu großen Umweltbeeinträchtigungen führt.
Welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie auf die Kreislaufwirtschaft? Sind neue Herausforderungen entstanden?
Zu einer ähnlichen Fragestellung hat eine Studentin vor kurzem ihre Bachelorarbeit bei uns geschrieben. Sie hat dazu die Siedlungsabfallbilanzen von acht deutschen Städten verglichen und ist zu dem Schluss gekommen, dass die Abfallmengen bei Glas, Sperrmüll und Bioabfall im Schnitt um rund 2 kg/(EW*a) angestiegen sind und der Restabfall um rund 5 kg/(EW*a). Gleichzeitig ist die Menge der Gewerbeabfälle aber zurückgegangen, was eventuell einen gewissen Ausgleich in der Gesamtabfallbilanz geschaffen hat. Neue Herausforderungen sind denke ich nicht entstanden. Eventuell hat die Pandemie sogar zu einer Verbesserung der Aufmerksamkeit für die Getrennthaltung von Abfällen geführt, da die Menschen mehr zu Hause waren. Ob die Abfallmengen sich wieder auf dem Niveau vor der Pandemie einpendeln, werden die kommenden Jahre zeigen.
Was müsste sich ihrer Meinung nach ändern, damit es neue Impulse für die Kreislaufwirtschaft in Deutschland gibt?
Fördermittel für Forschung im Bereich der Kreislaufwirtschaft sind vorhanden, somit ist von dieser Seite erstmal kein weiterer Impuls nötig wie ich finde. Eine Ausweitung des Pfandsystems für einzelne Abfallstoffe wie Elektroaltgeräte oder weitere Verpackungen halte ich für sinnvoll, um die Sammelmengen und die Reinheit der gesammelten Wertstoffe zu erhöhen und gleichzeitig den Trennaufwand und den erzeugten Ausschuss bei den Recyclingbetrieben zu reduzieren.
Stellen Sie bitte das Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft (IAK) der TU Dresden unter Einbeziehung der folgenden Fragen vor:
Seit wann gibt es das Institut?
Das Institut wurde im Jahr 1995 gegründet.
Wie viele Mitarbeiter sind am Institut tätig?
Am Institut sind 30 Mitarbeiter beschäftigt, darunter zwei labortechnische Assistentinnen, zwei Techniker, eine Verwaltungsangestellte, zwei Stipendiatinnen aus Namibia und Vietnam sowie 22 wissenschaftliche Mitarbeiter*innen. Die Leitung des Instituts hat Frau Prof. Dr.-Ing. habil. Christina Dornack inne.
Welche Themenbereiche stehen im Fokus?
Der Forschungsbereich des Instituts ist sehr breit aufgestellt. Neben der klassischen Abfallwirtschaft mit ihren Stoffstrom- und Potentialanalysen, ihren Optimierungsmöglichkeiten bei der Sammlung und Verwertung, beschäftigen wir uns auch mit den Neuerungen der Bioökonomie, der Phosphorrückgewinnung über Klärschlammverbrennung und der Mikrobiommanipulation zur Steigerung der Effizienz im Biogasprozess.

Das Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft der TU Dresden, Foto: Stefan Catalin.
Weiterhin bearbeiten wir regelmäßig Projekte zum Capacitybuilding in Entwicklungsländern, Forschungsaufträge aus der Industrie oder Projekte zu mineralischen Abfällen.
Bestehen Kooperationen auf nationaler und internationaler Ebene?
Das IAK engagiert sich auf nationaler Ebene in der German RETech Partnership, Recycling & Waste Management Made in Germany, dem ASK – Expertennetzwerk, der PREVENT Waste Alliance sowie in der Deutschen Gesellschaft für Abfallwirtschaft e. V. (DGAW). Auf internationaler Ebene hat das Institut bereits mit Partnern aus über 36 Ländern zusammengearbeitet und bearbeitet aktuell Projekte mit Partnern aus Vietnam, Jordanien, Marokko, Algerien, Weißrussland und Brasilien.
Wie viele Forschungsvorhaben und -projekte gibt es aktuell?
Am Institut gibt es aktuell 12 aktive Forschungsprojekte wovon vier eine internationale Ausrichtung haben.
Gibt es ein Projekt, das Sie gern kurz hervorheben oder erwähnen und erläutern würden?
Hervorheben möchte ich das Projekt „Zündstoffe- Materialvermittlung Dresden“, welches sich mit der Abfallvermeidung auf regionaler Ebene beschäftigt. Ein Team aus der organisierten Zivilgesellschaft hat über zwei Jahre eine Onlineplattform aufgebaut, die es Stakeholdern aus der Dresdner Stadtgesellschaft ermöglicht Restmaterialien zu posten, die dann wiederum von anderen Stakeholdern in der Stadt abgeholt werden können. Vor allem in der Kunst und Kulturszene Dresdens sowie im Bildungsbereich erfreut sich das Projekt großer Beliebtheit, da so die Nachhaltigkeit in der Stadt gesteigert werden kann.

Weltkarte mit allen bisherigen Kooperationspartnern des IAK, Grafik: IAK.
In einer Pressemitteilung vom 18. Mai 2021 auf ihrer Webseite war zu lesen, dass sich das Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft an der Erarbeitung des Projektantrages der »Zukunftsfabrik Lausitz« beteiligt hat. „In der Wasser-, Energie- und Pflanzenfabrik der »Zukunftsfabrik Lausitz« sollen künftig modernste Technologien und Prinzipien der Kreislaufwirtschaft im Realmaßstab kombiniert und dabei vorhandene Kompetenzen und Infrastrukturen in der Lausitz genutzt werden.“** Wird sich das IAK auch in Zukunft an diesem Vorhaben beteiligen und falls dies der Fall ist, in welcher Form?
Leider wurde der Antrag vor Kurzem abgelehnt. Wir sind allerdings weiterhin am Überlegen inwieweit wir die Zusammenarbeit zu diesem Thema mit unseren Projektpartnern weiter gestalten können.
PwC Deutschland hat 8 Technologien identifiziert, die großes Potenzial für die Kreislaufwirtschaft haben: Künstliche Intelligenz, Internet of Things, 3D-Druck, Robotik, Blockchain, Drohnen, Augmented Reality und Virtual Reality.*** Beantworten Sie bitte abschließend die Frage, wie die Kreislaufwirtschaft der Zukunft Ihrer Meinung nach aussehen wird?
Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten, da auch ich die berüchtigte Glaskugel nicht besitze. Ich gehe aber davon aus, dass die fortschreitende Digitalisierung auch in der Abfallwirtschaft Einzug halten wird. Ob diese technischen Innovationen die aktuellen Probleme lösen werden, ist allerdings zu bezweifeln. Solange wir nicht die Materialvielfalt reduzieren, das Recycling von Rohstoffen verbessern, den Bürger stärker in die Verantwortung nehmen für seinen Abfall und dafür sorgen, dass Produkte länger im Kreislauf gehalten werden, werden wir uns nicht weiter hin zu einer vollkommenen Kreislaufwirtschaft entwickeln können.
AS
Quellen:
* https://www.renn-netzwerk.de/west/detail/news/nachbericht-webinar-brennglas-coronakrise-kreislaufwirtschaft
** https://www.ikts.fraunhofer.de/de/presse/pressemitteilungen/2021_5_10_zukunftsfabrik_lausitz.html
*** https://www.pwc.de/de/nachhaltigkeit/wieso-die-kreislaufwirtschaft-zur-neuen-normalitaet-wird.html